5) Abenddämmerung – Limousine – Bahnhof

5) Abenddämmerung – Limousine – Bahnhof

Oft ist es von großer Bedeutung, gewissen Menschen blind vertrauen zu können. Die Frustration, wenn es sich wider Erwarten doch anders verhält, ist dann umso größer.

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Es dämmerte bereits, als Hermann S. (56) das Gebäude der Keramikfabrik „Buchtal“ verließ. Die Leitung der Firma, die S. kürzlich übertragen wurde, bedeutete für ihn nicht nur mehr Arbeit, sondern auch Verantwortung für etwa 40 Arbeitsplätze.

Wie an jedem Ende eines anstrengenden Arbeitstags wartete Gustav P. (33) in der wie immer ordentlich geputzten Limousine (Mercedes S-Klasse, hellbeige, Bj. 1967) auf seinen Chef. Herr P. ist seit etwa einem Jahr als Chauffeur für Hermann S. tätig und als solcher offensichtlich gewissenhaft und zuverlässig.

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Hermann S. nahm wie immer im Fond des Wagens Platz, als sein Chauffeur die Scheinwerfer einschaltete und startete. Doch nach einem kurzen Laufen des Motors ging dieser sogleich wieder aus. Mehrere Anlassversuche scheiterten. War Firmenchef S. anfangs noch zuversichtlich, dass der Motor in Kürze wieder anspringen würde, so zornig wurde er, als er den Grund für das Versagen der Limousine erfuhr: Gustav P. gestand kleinlaut, dass er vergessen hatte zu tanken und sich nun kein Tropfen Sprit mehr im Tank befinde.

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Bevor die Stimmungslage des Chefs sich vollends ins Unerträgliche steigerte, erblickte der Chauffeur die rettende Lösung: Zwischen den in der Nähe liegenden Gleisen befand sich eine BP-Fasstankstelle. Zum Glück waren um diese Tageszeit noch Arbeiter anwesend. Gustav P. bat Dragoslav S. (40) umgehend, seinen Reservekanister mit Diesel zu befüllen. Er brauche dringend Kraftstoff, um den Motor seines Dienstfahrzeuges zum Laufen zu bringen. Und tatsächlich: Der Mercedes sprang wieder an und es schien, als könnte die Fahrt angetreten werden.

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Doch bereits nach wenigen Metern streikte der Motor abermals. Die Öl-Kontrollleuche ging an. Wutentbrannt sprang Hermann S. aus dem Auto und rannte zum Bahnhof, um einen Zug für seinen Nachhauseweg ins 20 km entfernten Neuenhofen zu erreichen (E-Lok 1042 der ÖBB mit drei Personenwagen und einem Paketwagen, jeweils ÖBB). Und so konnte er dann auch nicht mehr hören, wie Gustav P. etwas von einem vergessenen Ölwechsel murmelte.

Mittlerweile sind mehrere Monate vergangen. Bei der Firma Buchtal ist kein Chauffeur mehr angestellt. Hermann S. fährt jetzt täglich mit der Bahn zur Arbeit.

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